(13.11.2024). Menschen besuchen Gottesdienste. Sie erleben sie gemeinsam und doch erinnert sich jeder anderes daran. Und die Predigt? Eine Störung, die irritieren kann und vielleicht gerade deshalb gut evangelisch ist – gerade am Reformationstag. Dass Gottesdienste darüber hinaus Zufluchtsorte für die Seele sein können, um Kraft und Hoffnung für den Alltag zu tanken, davon sprach Prof. Dr. Kristian Fechtner im Reformationsgottesdienst am 31. Oktober in der Oppenheimer Katharinenkirche. Von der Kanzel in St. Katharinen predigte er zum Thema „Gottesdienst. Gut für die Seele“.
Predigt als Störung
Predigt als Störung - ein Gedanke, den Fechtner, Universitätsprofessor für Praktische Theologie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, auf den Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil zurückführt. In einem autobiographischen Roman erinnert sich Ortheil an die großen, festlichen Gottesdienste seiner Kindheit, die ihn wohl tief geprägt haben. Doch Gottesdienste können mehr sein. Schon Martin Luther hat 1544 bei der Einweihung der Schlosskirche in Torgau darüber gepredigt, warum Menschen Gottesdienst feiern. Damals wie heute kommen sie zusammen, um zu singen, zu beten und Gottes Wort zu hören. Mehr noch, so Pfarrer Olliver Zobel, Dekan des Evangelischen Dekanats Ingelheim-Oppenheim, in seiner Begrüßung zu Beginn des Reformationsgottesdienstes: „Gottesdienste können Menschen durch Worte und Musik tief in ihrer Seele berühren und sie mit neuer Hoffnung in die Woche begleiten.“
Prof. Fechtner griff den Gedanken von Stärke und Hoffnung in seiner Predigt auf: „Wir leben in Zeiten, die uns sehr fordern, auch ängstigen.“ Ob in der Gemeinschaft oder ein jeder für sich: Es sei gar nicht so einfach, von den Gedanken abzuschalten - ein Blick in die aktuellen Nachrichten genüge, um zu erkennen: es sind herausfordernde Zeiten, denn gerade passiere so viel in der Welt. Aber das Lebensgefühl zur Zeit der Reformation vor 500 Jahren sei kaum anders gewesen. „Umso wichtiger ist es, damals wie heute“, appellierte Fechtner, „Orte zu finden, in denen ich nichts leisten muss.“
Schutz- und Schonraum für die Seele
Das Reformationslied „Eine feste Burg ist unser Gott“ geht auf Martin Luther zurück, für den die Burg der Inbegriff eines geschützten Ortes gewesen sei. Für Kristian Fechtner ist es auch ein Sehnsuchtslied, das im gemeinsamen Singen von Zuversicht, Stärke und Schutz die Hoffnung trägt auf das, was noch nicht ist: auf das Schweigen der Waffen, auf das Ende der Gewalt in vielen Teilen der Welt. So hat neben dem Wort auch die Musik ihren festen Platz im Gottesdienst. Ob Marcel Dupré, Felix Mendelssohn Bartholdy oder Heinrich Schütz - in der Katharinenkirche wurden Teile ihrer Werke von der Kantorei St. Katharinen und den Bläserinnen und Bläsern aus den Dekanaten der Propstei Rheinhessen und Nassauer Land unter der Leitung von Propsteikantor Ralf Bibiella großartig dargeboten. An der Woehl-Orgel ließ Dr. Katrin Bibiella die „Königin der Instrumente“ erklingen. Mit ihrem Klangreichtum erfüllte sie den Kirchenraum und verband die Menschen im gemeinsamen Gesang.
„Liebe Gemeinde, Gottesdienste sind gut für die Seele. Sie können den Menschen für einen Moment einen Schutz- und Schonraum bieten, einen Zufluchtsort oder im Sinne der Mystikerin Teresa von Avila eine ‚Seelenburg‘. Ein Ort, um dem Leben mit besonderer Kraft zu begegnen.“ Wo dies geschehe, so Theologe Fechtner am Ende seiner Predigt, werde spürbar, was der Psalm 46 zum Reformationstag verspricht: „Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.“
Mit einer herzlichen Einladung zu einem Umtrunk und zu Gesprächen im Westchor der Katharinenkirche sowie dem Segen von Pfarrer Eric Bohn endete der diesjährige Reformationsgottesdienst in Oppenheim. Gottesdienst? Gut für die Seele.