Die Ingelheimer Gewahrsamsanstalt für Ausreisepflichtige ist der Arbeitsplatz von Pfarrer Uwe Rau. Hier steht der Flüchtlingsseelsorger den Menschen bei, die auf der Flucht vor politischer Verfolgung und wirtschaftlicher Not voller Hoffnung auf persönliche Sicherheit und gute existentielle Perspektiven nach Deutschland gekommen sind.
In den hell gehaltenen Fluren des Verwaltungsgebäudes der Ingelheimer Gewahrsamsanstalt für Ausreisepflichtige (GfA) könnte man fast meinen, man wäre hier in einem ganz "normalen" Bürogebäude der 1990er Jahre. Ein Blick aus dem mit Gittern versehenen Bürofenster von Flüchtlingsseelsorger Uwe Rau zeigt jedoch: dies ist ein Ort, den die hier untergebrachten Menschen bis zum Tag ihrer Abschiebung nicht mehr verlassen dürfen, ein Ort an dem ihnen die Freiheit genommen wird. Die Ingelheimer Gewahrsamsanstalt für Ausreisepflichtige ist der Arbeitsplatz von Pfarrer Uwe Rau. Hier steht er den Menschen bei, die auf der Flucht vor politischer Verfolgung und wirtschaftlicher Not voller Hoffnung auf persönliche Sicherheit und gute existentielle Perspektiven nach Deutschland gekommen sind. Zu ihrem Schicksal gehört, dass ihr Asylantrag abgelehnt wurde oder nicht zulässig war. Nun steht ihnen die Abschiebung bevor, in ihr Herkunftsland oder das Land innerhalb der EU, in dem sie erstmals als Flüchtling registriert wurden.
Das Bewusstsein für das Leid der Flüchtlinge wachhalten
Als EKHN-Flüchtlingspfarrer ist Uwe Rau mit einer halben Stelle für die Seelsorge in der GfA zuständig. Zum Aufgabenbereich der anderen Hälfte seiner Pfarrstelle gehören die Begleitung und Beratung von Gemeinden und Dekanaten, Mitarbeit in Arbeitskreisen für Asyl, im Flüchtlingsrat, Vermittlung zur Härtefallkommission des Landes Rheinland-Pfalz und die Betreuung von Kirchenasylen. In thematischen Gottesdiensten und in Konfirmandenstunden will Rau vermitteln, warum sich Menschen auf die Flucht begeben und wie es ihnen derzeit auch in Deutschland ergeht.
Unterstützung auch über die Abschiebung hinaus
In seinem Büro in der Ingelheimer GfA verschafft Pfarrer Rau sich an seinem Computer gerade eine Übersicht, welche der Inhaftierten da sind, wer neu gekommen ist und wem zeitnah die Abschiebung droht. Ein Plan muss erstellt werden, wen er heute besuchen wird. "Ich gehe zunächst zu denjenigen, die kurz vor der Abschiebung stehen", erzählt der Pfarrer, "gebe ihnen Adressen, wo sie in dem Land, wohin sie abgeschoben werden, Hilfe erhalten können. Wo es nötig ist, habe ich einen Spendentopf, aus dem ich Ihnen Geld für ein Zugticket, für Essen oder eine Unterkunft geben kann."
Im Herkunftsland drohen oft Gefahren für Leib und Leben
Die Schicksale, von denen Pfarrer Rau in seinen seelsorgerlichen Gesprächen erfährt, sind manchmal sehr belastend. Es gibt Menschen, deren Traumatisierung durch die Flucht angesichts ihrer drohenden Abschiebung noch einmal neu zum Vorschein kommt. Andere leiden darunter, dass sie von ihrem Ehepartner getrennt werden, weil ihre Heiratsurkunden in Deutschland nicht anerkannt werden. Menschen, die aufgrund ihrer nicht der Norm entsprechenden geschlechtlichen Identität, z.B. als Homosexuelle, in ein Land wie Nigeria abgeschoben werden, fürchten um ihre Leben.
Gespräche, bei denen Hoffnung aufkeimt
Viele Menschen innerhalb der GfA sind tief traurig. Natürlich ist da oft noch ein „Restfunke“ von Hoffnung, dass sich durch eine weiterführende Rechtsberatung (die innerhalb der GfA von der Caritas angeboten wird) und die Hilfe von Anwälten herausstellt, dass der Haftbeschluss nicht rechtmäßig war. Auch zu Beginn von seelsorgerlichen Gesprächen steht die Klärung dieser Frage im Mittelpunkt. Viele haben ja schon mehrere Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet. Aber dann wurden ihre Asylanträge abgelehnt z. B. wegen fehlender Unterlagen, und sie wurden ausreisepflichtig. Oder eine bestehende Duldung wurde plötzlich nicht mehr verlängert.
Was aber, wenn klar wird, dass es in keine Chance des Bleibens gibt?
Wenn jedoch keine Möglichkeit gefunden wird, die Abschiebung zu verhindern – was ist dann? „Dann“, erklärt Flüchtlingspfarrer Rau, „muss ein jeder Mensch individuell seine eigene Kraft finden mit dieser hoffnungslosen Situation umzugehen und dabei auch noch eingesperrt und absolut reduziert zu sein auf das „Nötigste“ – da baut sich eine Menge Stress auf“. Und an dieser Stelle ist die Seelsorge gefragt: Pfarrer Rau geht im Gespräch mit der oder dem Betroffenen der Frage nach, wie ein Weg aus der Enge der Ausweglosigkeit gefunden werden kann. „In der Bibel wird über Gott gesagt“, so Rau, „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ (Psalm 31,9)“. Gemeinsam mit den Inhaftierten versucht der Flüchtlingspfarrer nachzuspüren, welche innere Kraft in leidvollen Situationen im persönlichen Erleben schon geholfen hat. Auch im gemeinsamen Gebet und im Segnen, so seine Erfahrung, finden die Menschen Kraft, Mut und neues Vertrauen.
„Für Gott gibt es einfach nur Menschen“
Für ihn als Flüchtlingspfarrer ist es eine Herausforderung, angesichts der Not weder abzustumpfen noch zu verzweifeln. Rau weiß, wie wichtig es ist, sich zu öffnen und Mitgefühl zu zeigen, Gefühle zu teilen. "Die Menschen fühlen sich hier wie nackt und ohne Schutz. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb reden sie ganz offen, wenn jemand ihnen vertrauensvoll und bedingungslos zuhört", erklärt Pfarrer Rau. Und so hören er, aber auch seine katholische Kollegin in der GfA, Evi Lotz-Thielen, des öfteren: "Das hat mir gut getan, dass sie da sind!" „Wir glauben“, sagt Rau, „dass Gott sein grenzenloses ‚Ja‘ zu jedem einzelnen Menschen erfahrbar machen möchte. Und das zu vermitteln, darin sehen wir als Seelsorgende unsere Aufgabe. Für Gott gibt es keine Ausschlusskriterien und keine Grenzen. Für Gott gibt es einfach nur Menschen." Rau weiß zwar, dass „wir in unserem Land ein gutes Rechtssystem auf der Basis des Grundgesetzes haben, in dem die Menschenrechte geschützt sind. Aber es ist nicht perfekt. Es gibt Lücken und Risse. Es gibt Menschen, die trotz ihrer persönlichen Not kein Aufenthaltsrecht bekommen.“ Die Aufgabe der Kirche sieht der Pfarrer an den Stellen, wo Schutzsuchende in eine ungewisse, lebensbedrohliche Zukunft abgeschoben werden. „Gerade dort“, erklärt er, „wo es Risse und Lücken gibt, will Gottes Licht der Mitmenschlichkeit hineinscheinen“.